Wie es mit einer roten und blauen Lampe begann

Assja Turgenjeff (1890-1966) schildert in ihren »Erinnerungen an Rudolf Steiner« den Moment während einer Probe auf der Bühne der Schreinerei im Jahre 1917, wo sich sozusagen die Geburt der Eurythmie-Beleuchtungskunst vollzog. Im Kapitel »Weitere Arbeit an der Eurythmie und am Bau« erzählt sie:

»Besonders langweilig fand ich uns, wenn Herr und Frau Doktor auf Reisen waren, und wir allein eine Aufführung für sie vorbereiteten. Ein poetisches Gedicht (Liederseelen) von Conrad Ferdinand Meyer versuchte ich ein bißchen zu beleben, indem ich das weiße Licht auf der Bühne wegnehmen und eine rote und eine blaue Birne, die von einer Faust-Aufführung noch in den Ecken hingen, einschalten ließ. Gespannt und ängstlich wartete ich in der Vorführung auf die Reaktion. Sie blieb nicht aus.

Wie immer saß Dr. Steiner angelehnt in seinem Sessel, wie träumend, nur der Fuß wippte. Gewiß waren seine Gedanken irgendwo ganz anders. Doch da kam das rot und blau beleuchtete Gedicht, und mit einem Ruck wachte er auf, schaute erstaunt in die Luft, beugte sich tief, um die Lampen zu sehen, und konnte kaum das Ende des Gedichtes abwarten.

"Jetzt kommt ein ganz neues Element in die Eurythmie. Eine farbige Beleuchtung wird den Wechsel der seelisch-geistigen Stimmung in einem Gedicht zum Ausdruck bringen."

Mit diesen Worten sprang er auf und verlangte, daß der Architekt Ranzenberger und Ehrenfried Pfeiffer im Augenblick kommen sollten. Kaum waren sie da, gab er ihnen an, wie und wo farbige Beleuchtungskörper anzubringen seien.

Mit meinen beiden Glühbirnen hatte ich gewiß nicht solche weiten Konsequenzen erwartet. Es ist aber ein Beispiel dafür, wie Dr. Steiner oft auf etwas von außen Kommendes wartete, um es zu ergreifen und etwas Großartiges daraus zu machen.«


Quelle dieses Textes: Rudolf Steiner; Beleuchtungs- und Kostümangaben für die Lauteurythmie, Deutsche Texte I ; Rudolf Steiner-Verlag, Dornach/Schweiz 1980; ISBN 3-7274-5301-